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Brian Greene – Bis zum Ende der Zeit

Wie schon in Der Stoff aus dem der Kosmos ist und Die verborgene Wirklichkeit, nimmt Brian Greene auch in Bis zum Ende der Zeit wieder das  größte erforschbare Ganze in den Blick, nämlich den Kosmos aus physikalischer Sicht, diesmal ergänzt mit einer umfassenden Darstellung von Entstehung und Evolution von Leben und Bewusstsein.

Daraus ergibt sich logischerweise eine Dreiteilung. Der erste Teil des Buches beginnt mit dem Urknall und schildert die daran anschließende überlichtschnelle Ausdehnung des Raums (Inflation), die Kondensation der Energie zu Wasserstoff, die Verdichtung der Gasmoleküle zu Sonnen, die Zündung der Kernfusion und die Bildung von Filamenten und  Galaxien. Im letzten Teil  schließlich befasst er sich mit der Zukunft des Kosmos und beschreibt dessen Alterung bis zum Ausbrennen der letzten Sterne, dem Erstarren jeder Bewegung im Zustand maximaler Entropie und schließlich dem Zerreißen der Atome und Elementarteilchen. Dies entspricht dem derzeit  von der Mehrheit der Wissenschaftler favorisierten kosmologischen Konzept der von Dunkler Energie angetriebenen beschleunigten Expansion des Universums. Auch wenn die Darstellung aufgrund der Konzeption des Buches weniger in die Tiefe geht als bei seinen beiden oben genannten Büchern, läuft Greene als Mathematiker und Physiker bei diesen Themen zu Hochform aus und erweist sich wieder einmal als ein Meister des populären Sachbuchs. Seine Fähigkeit, komplizierte Sachverhalte zu veranschaulichen, zeigt sich auch hier. Auch die offenen Fragen der Grundlagenphysik werden angesprochen: Bislang weiß niemand, was genau sich hinter den Begriffen Dunkle Energie und Dunkle Materie verbirgt. Es könnte auch sein, dass es sie gar nicht gibt und dass stattdessen bislang unbekannte Gravitationseffekte für die mit ihnen erklärten Phänomene verantwortlich sind. Ebenso vorläufig ist auch das Konzept der beschleunigten Expansion. Möglich wäre unter bestimmten Bedingungen auch ein zyklisches Universum, in dem die Expansionsgeschwindigkeit irgendwann wieder abnimmt und  in Kontraktion übergeht, worauf ein  weiter Urknall folgen könnte. Dass Greene Schwach- und Leerstellen der Forschung anspricht und Vertretern anderer Deutungen Raum gibt, ist einer seiner vielen Vorzüge.

Der mittlere Teil hingegen hat mich weniger überzeugt. Vielleicht liegt es daran, dass Greene hier den sicheren Boden seines Fachgebiets verlässt. Wenn er die Bildung der ersten sich selbst replizierenden Moleküle schildert, macht sich das noch kaum bemerkbar, doch wo es um Bewusstsein, Sprache, Religion, Literatur und Musik geht, wird ein gewisser Schematismus erkennbar: dieser Forscher sagt dies zum Thema, jener das. Die vorgestellten Wissenschaftler mögen den aktuellen Forschungsstand repräsentieren, und die Auswahl der Zitate scheint treffend, doch es mangelt ein bisschen an der sonstigen Stringenz, auch wenn Greene konsequent den evolutionären Selektionsvorteil als Leitfaden verwendet.

Ein Kritikpunkt

Greene, der sich selbst als Reduktionisten bezeichnet, ist ein Vertreter des Super-Determinismus. Für ihn gibt es nur Teilchen und Schwingungen, die physikalischen Gesetze und eine Kausalkette, die vom Urknall bis in die Gegenwart reicht. Das Kausalitätsprinzip gilt in dieser Interpretation auch für die Welt der Quanten. In letzter Konsequenz bedeutet dies, dass die Gegenwart bis in ihre kleinsten Verästelungen hinein im Ausgangspunkt angelegt ist. Der kleine Arbeitsplatz, an dem ich diesen Post tippe, der Teefleck vor mir auf der Tischplatte und der Kater, der mich in diesem Moment mit seinen grünen Augen fragend anschaut, das alles wäre demnach prädeterminiert, eine notwendige Folge der Ausgangsbedingungen. Selbst die Gedanken, die ich denke und die von der Teilchenanordnung, den elektrischen Strömen und Feldern meines Gehirn erzeugt werden, wären zwangsläufig. Für freien Willen ist in dieser Welt kein Platz. Konzepte wie Schuld, Verantwortung, Kreativität würden fadenscheinig, und wir wären nichts weiter als die Beobachter eines Schauspiels, das bereits vor 13,8 Milliarden Jahren bis ins allerkleinste Detail festgelegt worden wäre. Es ist wohl nicht falsch, dieses Konzept als Wiederauflage des mechanistischen Weltbilds unter Einbeziehung der Quantenmechanik zu bezeichnen. Da es weder verifizierbar noch falsifizierbar ist, handelt es sich um Spekulation. Ich finde die Vorstellung so grauenhaft, dass mir im Vergleich selbst die Fron des Sisyphus als Selbsterfahrungsurlaub erscheint. Greene selbst gibt zu, deprimiert und erschüttert gewesen zu sein, als er während des Studiums zu dieser Erkenntnis gelangte.

Dass einem eine Erkenntnis nicht behagt, ist natürlich kein Argument dafür, dass sie falsch ist. Und leider fehlt es mir als Laien am nötigen Wissen, um kompetent argumentieren zu können. Allerdings leuchtet mir nicht ein, weshalb auch die Quantenwahrscheinlichkeiten kausal bedingt sein sollen. Wurde die Theorie der verborgenen Variablen nicht längst verworfen? Kurzum: Ich lehne den Superdeterminismus aus ganzem Herzen ab. Die Gegenpositionen hat Greene meiner Meinung nach nicht ausreichend berücksichtigt. Es soll aber nicht verschwiegen werden, dass auch er so lebt und schreibt, als gäbe es den Superdeterminismus nicht, und dass diese These im weiteren Verlauf des Buches keine große Rolle mehr spielt.

Was ich gelernt habe

Diese beiden Dinge waren unter anderem neu für mich.

Erstens: Die Dichte eines Schwarzen Lochs nimmt mit steigendem Radius ab. Ein Schwarzes Loch mit der viermilliardenfachen Sonnenmasse hätte demnach gerade mal die Dichte der Luft, die wir atmen. Trotzdem hätte es einen Ereignishorizont. Das widerspricht der landläufigen Vorstellung eines gierigen, hochverdichteten schwarzen Monsters völlig. Erstaunlich!

Zweitens: Die Sache mit den Boltzmann-Gehirnen im Kapitel über die Zukunft des Denkens. Stellt man sich das Ende des Kosmos als leeren Raum mit zerfallenen Teilchen vor, hätte diese Leere einen Horizont, der Strahlung abgibt, vergleichbar der Hawking-Strahlung, die Schwarze Löcher mit der Zeit verdampfen lässt. Wäre der Endzustand von ‘ewiger’ Dauer, würden die in der Leere der Unendlichkeit umherschwirrenden Teilchen sich irgendwann begegnen und nach und nach alle möglichen Konfigurationen annehmen, darunter auch die eines mit Pseudoerinnerungen ausgestatteten Gehirns. Gruselig! Greene liebt solche Gedankenspiele, auch wenn sie nicht sonderlich plausibel sind.

Fazit

Leibniz’ große Frage ‘Warum ist überhaupt etwas und nicht nichts?’ kann das Buch natürlich nicht beantworten.  Aber es beschreibt anschaulich das kosmische Schauspiel, in dem wir als ameisenhafte Kreaturen das Rätsel unserer Existenz in den Blick nehmen. Trotz der oben aufgeführten Kritik kann ich Bis zum Ende der Zeit empfehlen. Wer sich allerdings speziell für Kosmologie interessiert, der ist mit Der Stoff, aus dem der Kosmos ist  besser bedient.

Ein Tipp

Wem Leibniz’ Frage keine Ruhe lässt, der sei auf die Vorlesung Was war vor dem Urknall von Prof. Ganteföhr von der Uni Konstanz verwiesen; allgemeinverständlich und unterhaltsam eröffnet sie einen hochinteressanten Ausblick auf ein neues Konzept von Gaßner, wonach der Urknall auf die Quantenfluktuation eines höherdimensionalen Raums zurückzuführen ist. Die Reise geht weiter.

Brian Greene: Bis zum Ende der Zeit. Siedler Verlag (Hardcover)

Brian Greene
Bis zum Ende der Zeit

Aus dem Englischen von Sebastian Vogel

Siedler 2020

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