Archiv der Kategorie: Film

Avatar – Der Weg des Wassers

Der Kinobesuch gestaltete sich als kleines Survival-Abenteuer. Zunächst mal galt es den fünfunddreißigminütigen Werbeblock zu überstehen, auf die Überlängenwarnung folgte eine zehnminütige Pinkelpause, und dann passierte erst mal gar nichts – offenbar war die digitale Projektionsanlage abgestürzt. Erst eine geschlagene Stunde nach Betreten des Kinosaals startete endlich der Film.

Mit (k)einer Überraschung: Avatar 2 ist irgendwie Avatar 1, wie gehabt mit Esoterikkitsch inklusive Wunderbaum, schwebenden Felsen, peinlichen Dialogen und einer anachronistisch anmutenden Na’vi-Version der amerikanischen Sechzigerjahre-Familie („Yes, Sir!“). Im Kern ist es eine Indianergeschichte, wie sie auch Karl May hätte schreiben können. Die Kritik zu Avatar 2: The Way Of Water: Abtauchen und Staunen - FILMSTARTS.debösen Landräuber von der Erde kommen zurück nach Pandora, und der oberböse Colonel Quaritch, als Avatar reinkarniert, hat mit Jake Sully, inzwischen ebenfalls Vollzeit-Avatar, mehrfacher Familienvater und Anführer der Wald-Na’vi, noch ein Hühnchen zu rupfen. In der Folge werden die Sully-Kinder entführt, befreit und wieder entführt, bis es schließlich zur finalen Ballerei mit Showdown kommt. Die Story ist so dünn wie der Film lang ist (193 Minuten) und erhebt kaum Anspruch auf Eigenständigkeit, was durch die zahlreichen akustischen und visuellen Anklänge an Alien, Star Wars und Titanic noch einmal unterstrichen wird. Die Referenzen sind jedoch rein oberflächlich; dem Film mangelt es bedauerlicherweise an der Spannung von Alien und dem emotionalen Erzählbogen des Titanic-Films, und immer wieder stören Albernheiten wie die Kommunikation mit dem Fisch: “Und was macht dein Baby?” Die plakative Spiegelung der irdischen Umweltproblematik ins Science-Fiction-Genre entfaltet so keine Wirkung. Das aber ist nur die eine Seite.

Die andere Seite zeigt sich vor allem im Mittelteil des Films und hat die Qualität einer filmischen Offenbarung. Die erste Hälfte davon spielt im Wald, die zweite am und vor allem im Meer. Zu besichtigen ist eine bis in den einzelnen Grashalm, jede Hautpore und jedes Seeanemonenfädchen hinein realistisch anmutende Welt. James Cameron gelingt hier eine fantastische Symbiose von Filmtechnik und Ästhetik. Durch das weiter perfektionierte Motion-Capture-Verfahren als Grundlage der Digitalisierung gewinnen die Na’vi eine umwerfende Präsenz. Eine solch grandiose Verschmelzung von Realfilmbildern und CGI hat man noch nicht gesehen. Einen Anteil daran hat auch neue Kinotechnik, nämlich das Cinity-System mit Laserprojektoren, 4k-Auflösung, HFR-Technik (einer gegenüber den üblichen 24 Bildern pro Sekunde erhöhten Framerate) und 30 Prozent mehr Helligkeit. Godard, der seinerzeit verkündete, Kino sei ‘24 Mal Wahrheit in der Sekunde’, dreht sich vermutlich im Grabe um, doch die Wirkung ist bestechend. Mehr Immersion geht kaum. Die 3-D-Technik beweist hier endlich ihre Daseinsberechtigung über das Spektakel hinaus und verleiht dem Film einen wahren Mehrwert. So entstehen immer wieder betörende und berührende Momente, so wie bei der Meeresbestattung des Sully-Jungen, der in ein Anemonenfeld aufgenommen wird,  beim Träumen eines Na’vi-Mädchens im Gras oder wenn es im Kinosaal regnet. Genau diese Momente nimmt man aus dem Film mit. Das Fazit ist folglich gemischt: Avatar 2 ist eine großartige visuelle Erfahrung, aber leider kein großer Film.

Avatar – Der Weg des Wassers

Regie: James Cameron, 2022

Trailer

Für immer Adaline – Zur Unsterblichkeit verdammt

Nach News gesucht, bei Film hängengeblieben und plötzlich gebannt, obwohl auf den ersten Blick alles nach belangloser Schmonzette aussieht. Es heißt ja, alle guten Geschichten seien bereits erzählt und würden nur noch nacherzählt, beziehungsweise variiert und rekombiniert. Das gilt insbesondere für Geschichten über potenziell Unsterbliche wie etwa Melmoth der  Wanderer in dem Roman von Charles Robert Maturin, der Highlander aus dem gleichnamigen Film von Russell Mulcahy oder auch der Gerichtsmediziner Henry H. Morgan aus der Fernsehserie Forever, ganz zu schweigen von den vielen Unsterblichen auf Zeit, die in murmeltiertaghaften Zeitschleifen gefangen sind und denen sich die Wiederkehr des Immergleichen zu einer mehr oder weniger langen Ewigkeit dehnt. Je nach Veranlagung leben sie den Traum von zügellosem Hedonismus und maßlosem Reichtum, häufen Wissen an oder machen sich nützlich. Meist probieren sie unterschiedliche Lebensentwürfe aus, mal erfolgreich, mal scheiternd, und verzweifeln regelmäßig an ihrer Einsamkeit und Langeweile.

Auch die Geschichte der 1908 geborenen Adaline Bowman (Blake Lively) gehört zu diesem Genre. Mit ihrem Ehemann, einem Ingenieur, der am Bau der Golden Gate Bridge beteiligt ist, hat sie eine Tochter. Kurz nachdem er tödlich verunglückt, kommt sie mit dem Wagen von der Straße ab und stürzt in einen eiskalten Fluss. Ein Blitz erweckt sie aus ihrer katatonischen Starre, und fortan altert sie nicht mehr. Die pseudowissenschaftliche Erklärung des Phänomens kann man getrost vergessen. Adaline versucht ihr Leben zunächst fortzuführen wie bisher, doch als das FBI sich für sie zu interessieren beginnt, flieht sie und wechselt fortan alle zehn Jahre Identität und Wohnsitz. Traumatisch ist der Verzicht auf ihre zweite große Liebe in den siebziger Jahren,  Von emotionalen Verstrickungen hält sie sich fern, allein zu ihrer alternden Tochter hält sie Kontakt. Anstatt zu verzweifeln, kultiviert sie einen gefassten Fatalismus, lernt Sprachen, liest viel und bestreitet ihren Lebensunterhalt mit normalen Jobs. Erst im Alter von 107 Jahren wagt sie es, sich erneut zu verlieben – und begegnet kurz darauf ihrer gealterten Jugendliebe, was sie vor neue harte Entscheidungen stellt. So weit, so unspektakulär.

Doch Lively gelingt es, die Figur der Adaline unaufdringlich, subtil und überzeugend mit einer Tiefe auszustatten, die ihr wahres Alter immer wieder durchscheinen lassen. Die Wirkung des Film verdankt sich aber vor allem der unaufgeregten Ernsthaftigkeit, mit der er Adaline durch ihr langes Leben folgt. Hier ist weniger mal wieder mehr. Krieger, der Regisseur, lässt das alte Thema in neuem Licht erscheinen. So hat man das Gefühl, diese  Geschichte von der Unsterblichkeit werde zum allerersten Mal erzählt, was den Film zu einer berührenden Erfahrung macht. Dass Harrison Ford als alte Liebe auftritt, ist dabei ein Extra-Schmankerl.

Für Immer Adaline - Film streamen | Sky Store

Für immer Adaline (The Age of Adaline)

Regie: Lee Toland Krieger, 2015

Amazon

Trailer

Dune – mit Maus und Wurm

Als David Lynch 1984 seine Dune-Version ins Kino brachte, war die Enttäuschung groß; zu gewaltig das Panorama, das Frank Herbert in der Buchvorlage ausmalt,  und zu wackelig die Filmkulissen, zu krude die Effekte und vor allem zu klein der Sandkastenwurm, der das Finale bestreiten musste.

Frank Herberts Dune erschien unter dem Titel Der Wüstenplanet erstmals 1967 auf Deutsch, fünf Folgebände kamen hinterher. Für viele, auch für mich, war dies eines der großen  SF-Leseerlebnisse. Die Handlung spielt in ferner Zukunft und setzt 10290 Jahre nach Gründung der Raumfahrergilde ein. Tausende von Menschen besiedelte Planeten sind über die ganze Galaxis verteilt. Beherrscht werden sie von den Häusern, auf Erbfolge beruhenden Familien, und über allen thront der Imperator. Ein großer Dschihad hat die Computer und künstlichen Intelligenzen ausradiert. Allein mit Hilfe der psychotropen Droge Spice sind die Raumfahrer in der Lage, ihre Schiffe mit Überlichtgeschwindigkeit durch den Hyperraum zu manövrieren.  Der Imperator entzieht nun dem Haus Harkonnen das Lehen für den Wüstenplaneten Arrakis und bestimmt das Haus Atreides zu dessen neuem Herrscher – eine bedeutsame Entscheidung, da dort das Spice gewonnen wird. Also steht ein Umzug an. Die Familie Atreides fliegt nach Arrakis. Um das Wüstenvolk der Femen zur Zusammenarbeit zu bewegen, wurde das Gerücht gestreut, Paul, der Sohn des Herzogs, sei der neue Mahdi oder Messias. Das könnte sogar etwas dran sein, denn Paul hat Wahrträume, und im Hintergrund zieht seine Mutter die Strippen. Sie gehört dem Nonnenorden der Bene Gesserit an, der mit allerlei okkulten Ritualen und Psychotricks seine eigenen Ziele verfolgt.

Ökologie, Ressourcenknappheit, Kolonialismus, Personenkult, Dschihadismus, antiwissenschaftliche Maschinenstürmerei, Esoterik und Mystizismus – viele der Themen, die Frank Herbert anspricht, sind heute aktueller denn je. Und Villeneuve ist ein wundervoller Regisseur. Deshalb stimmt bei ihm vieles, zum Beispiel das Verhältnis zwischen Groß und Klein, also den Weltraum- und Planetenszenen auf der einen und den eindrucksvoll inszenierten Dialogen und Details wie dem windbewegten rieselnden Wüstensand oder der putzigen Maus auf einem Dünenkamm auf der anderen Seite.  An CGI-Kapazität herrscht kein Mangel, deshalb erschafft er imposante Landschaften, frappierend realistisch wirkende Libellenflügler und eine Überwältigungsarchitektur, die irgendwo zwischen Mayatempeln und Albert-Speer-Gigantismus angesiedelt ist. Doch den riesigen, meist düsteren Hallen wohnt, um mit Hermann Hesse zu sprechen, ‘kein Zauber inne’, sondern eine große Leere. Die Häuser sind doch reich, wieso statten die Adeligen ihre Betonburgen dann nicht mit Kunstwerken und Luxus aus?  Und um gleich weiter zu fragen: Weshalb sind auch die Raumschiffe so groß und leer? Sind die Aufhebung der Gravitation, Körperschilde und interstellarer Raumflug, Spice hin oder her, ohne Computertechnik überhaupt denkbar? Wovon leben eigentlich die bis zu vierhundert Meter langen Sandwürmer? Und war es wirklich nötig, das durch und durch böse Haus Harkonnen auch noch auf einem verregneten Planeten anzusiedeln?

Es ist, als wollte Hans Zimmer mit seinem dröhnenden Soundtrack diese Fragen schon im Ansatz ersticken. Aus anderer Perspektive aber machte die Akustikattacke durchaus Sinn, kam es mir nach zwei Jahren Corona-Pause doch so vor, als wohnte ich, untermalt von Pauken und Trompeten, dem Untergang des Kinos bei. Dune, vorab zum Post-Corona-Hoffnungsträger der Kinobranche gehypt, vermochte den Saal einen Tag nach der Premiere jedenfalls nicht mal zu einem Drittel zu füllen. Für die einen dürfte der Film zu ‘langsam’ sein, für die anderen zu verschwurbelt. Die größte Katastrophe aber war das Seherlebnis: Das Bild so ungewohnt kontrastarm, die Projektion unscharf, die Sitznachbarn, obwohl auf Abstand platziert, so laut. Der ketzerische Gedanke ging mir durch den Sinn, dass die Immersion vor dem heimischen Fernseher womöglich besser gewesen wäre. Lag es am Realitätsschock nach langer Corona-Enthaltsamkeit? Oder wird das Streamen dem Kino den Garaus machen? Ist Vereinzelung angesagt statt Gemeinschaftserlebnis? Sind wir dazu verdammt, unser TV-Equipment immer weiter hochzurüsten, bis wir real und virtuell nicht mehr unterscheiden können?

Die Zukunft wird es erweisen. 

Dune - Film 2021 - FILMSTARTS.deDune

Regie: Denis Villeneuve 2021

Trailer

The Undoing – auf dem schmalen Grat

Im Zentrum der sechsteiligen Mini-Serie von HBO steht eine Familie wie aus dem Bilderbuch der Reichen und Schönen, und entsprechend idyllisch gestaltet sich der Auftakt, mit dem die Protagonisten eingeführt werden: Grace Fraser (Nicole Kidman), makellos attraktiv wie eh und je,  ist emsige Mutter, aufmerksame Ehefrau und kluge Psychotherapeutin, ihr Ehemann Jonathan (Hugh Grant), Kinderchirurg auf der Krebsstation, ist nie um einen Scherz verlegen und weint im Ehebett, wenn er einen seiner jungen Patienten verloren hat, Sohn Henry (Noah Jupe) ist Musterschüler an einer elitären Privatschule, die 50000 Dollar im Jahr verlangt, und Franklin Reinhardt, grandios gespielt von Donald Sutherland, hier gütiger Großvater und Nicoles umsichtig sorgender Vater, sitzt nachts, wenn der Portwein im Glas leuchtet,  am Flügel mit dem Schachbrett im Hintergrund. Das alles macht durchaus Sinn. Schließlich sehen wir gern schöne Menschen in perfekt sitzender Kleidung in dunkle Limousinen und Hubschrauber steigen, in edlen Restaurants dinieren und in teuren Fitnessclubs trainieren. Außerdem, und das ist bei einem Thriller nicht belanglos, ist die Fallhöhe größer; wer mit den Adlern fliegt, kann sehr tief stürzen.

Natürlich erweist sich die geradezu paradiesische Harmonie als schöner Schein, und die High-Society-Idylle zerbröselt. Jonathan hat eine Geliebte, die grausam verunstaltet tot aufgefunden wird. Da er in derselben Nacht verschwindet, ist er auch bald schon der Hauptverdächtige. Bereits in Folge zwei wird er verhaftet, und die Handlung steuert auf den eigentlichen Höhepunkt zu, die Gerichtsverhandlung. Hier entpuppt sich die Serie als klassischer Whodunit-Plot. Dass nahezu jede und jeder im Dunstkreis des Opfers in den Kreis der Verdächtigen rückt, kennt man aus vielen Tatorten. Hier ist es meisterhaft umgesetzt. Dass die Serie den Zuschauer dazu bringt, am Ende sogar Kindern die Tat mit dem Hammer zuzutrauen, ist das, was man von einem guten Thriller erwarten darf, nämlich dass er einem den Teppich unter den Füßen wegzieht. Genau das leistet The Undoing. Von der Schauspielern verlangt dies, auf dem schmalen Grat der Unentschiedenheit zu wandeln. Nicole Kidman gelingt das mit anstrengungsloser Perfektion. Ihr nimmt man das Familientier ebenso gläubig ab wie die eiskalte Intrigantin. Der grimassierende Hugh Grant als Jonathan meistert das weniger gut; seine Unentschiedenheit ist eher ein heftiges Schwanken, und dabei trägt er ein bisschen zu dick auf.

Aber geschenkt. The Undoing  ist ein nervenzerfetzender Psychotriller, eindrucksvoll bebildert und hervorragend besetzt – ein Muss für alle Freunde des Genres.

4946040The Undoing

Thriller-Serie nach dem Roman Du hättest es wissen können von Jean Hanff Korelitz

Trailer

The Undoing bei Amazon


Im Streaming-Labyrinth

Neulich, als die Pandemie begann und ich Theater, Kino und Konzerte schmerzlich vermisste, veranstaltete ich bei Amazon Prime Video meine ganz private Chabrol-Retrospektive.  Das Angebot war vielfältig, es wurden für Prime-Kunden einige kostenlose Titel angeboten, der Rest war zu leihen und zu kaufen. Neben dem Wiedersehen mit bekannten Filmen gab es auch noch einiges für mich zu entdecken: Vor Einbruch der Nacht beispielsweise hatte ich noch nie gesehen. Wunderbar!

Jetzt wollte ich die Erfahrung mit Truffaut wiederholen. Dann kam der Schock: Sämtliche Truffaut-Titel, die bei Amazon vor kurzem noch gestreamt werden konnten, sind derzeit als ‘nicht verfügbar’ gelistet. Die Internet-Recherche ergab, dass Truffau aktuell über die Rakuten-App gesehen werden kann. Rakuten wird allerdings weder von meinem Philips-Fernseher noch vom Amazon-App-Store angeboten. Fündig wurde ich durch Zufall auf  meiner X-Box-Spielkonsole, als ich dort die Sky-App aktivierte, um mir Mare of Easttown mit der wundervoll griesgrämigen Kate Winslet anzuschauen. Eine Alternative wäre auch, Tablet und TV zu verbinden, sei es drahtlos oder mit HDMI-Kabel. Lässt sich alles hinfriemeln. Ich habe erst mal verzichtet, denn vielleicht liegen die Rechte ja nächsten Monat schon wieder ganz woanders.

Streaming war mal ein großes Versprechen: alles, überall, jederzeit. Aber wie so vieles, was am Internet damals, als die Zukunft noch utopisch war, gehypt wurde, sieht die Streaming-Realität eher trübe aus. Immer mehr Anbieter drängen auf den Markt und wollen ein Stück vom Kuchen – Netflix, Disney, Apple, DAZN, Magenta, you name it. Dabei wird mit harten Bandagen gekämpft, und die schärfste Waffe sieht man offenbar in der Bindung von Abonnenten mittels Exklusivrechten. Was der Eine hat, soll der Andere nicht haben.  Und was Du nicht abonniert hast, sollst Du nicht sehen. Deshalb hat Amazon soeben MGM gekauft. Und der nächste Mega-Deal ist vermutlich bereits in Planung. Mein Eindruck ist, dass Rechteinhaber früher bereitwilliger Lizenzen erteilt haben. Heute werden sie gehütet wie die Dracheneier in Game of Thrones.  So kommt es, dass man Sky abonniert (und gleich wieder kündigt), um sich Der Pass anzuschauen, und anschließend das nächste Monatsabo bei Disney eingeht, weil die Liebste Gefallen an Baby Yoda gefunden hat und The Mandalorian nur dort zu sehen ist. Bestimmt gibt es auch Menschen, die ihre Abos laufen lassen. Da kommt mit der Zeit einiges zusammen. Ich möchte nicht die Rechnung sehen.

Ich habe mir die Streamingdienste früher naiv als riesige Filmbibliotheken vorgestellt, in denen alles zu haben ist, was das Herz (und das Auge) begehrt. Aber vielleicht frisst der Erfolg ja seine Kinder. Und vielleicht sehen die Anbieter dann ein, dass man mit Teilen im Sandkasten besser klarkommt. Wer Lizenzen hat, soll sie ja nicht verschenken. Aber bei ‘seinem’ Anbieter das Gesuchte zu finden, ist doch eigentlich nicht zu viel verlangt. Zumindest der Fundus der Filmgeschichte sollte allgemein verfügbar und (gegen Bezahlung) zu sehen sein, ohne dass man gezwungen wird, ständig neue Apps zu aktivieren und die lästigen Anmeldungs- und Kündigungsprozeduren zu absolvieren.

1917–Krieg der Steadiecam

1917, mit zehn Oscarnominierungen ins Rennen gegangen und immerhin in den Kategorien Kamera und visuelle Effekte auf der Siegerseite, kann jetzt auch gestreamt werden. Die Enttäuschung ließ etwa eine Stunde auf sich warten. Zu eindrucksvoll sind die scheinbar schnittlosen Kamerafahrten durch die englischen und deutschen Schützengräben und über das Niemandsland dazwischen. Wie die Fußbegleitung mit der Steadicam nahtlos in weitläufige Kamerabewegungen übergeht, ist frappierend. Auch bei dem abgeschossenen Flieger, der in einer Scheune landet und in Flammen aufgeht, fragt man sich unwillkürlich, wie das gemacht wurde.

Und genau das ist vielleicht der Punkt. Kameratechnische Brillanz und inszenatorische Perfektion nehmen eine Zeitlang gefangen, doch die Geschichte der beiden Lance Corporals Will Schofield und Tom Blake, die durch feindliches Gebiet eine Warnung vor einer Finte der Deutschen an ein britisches Bataillon überbringen sollen, fügt den Bildern, die sich vom Ersten Weltkrieg dem Gedächtnis eingeprägt haben, nichts hinzu. Der ganze technische Aufwand dient nicht der Vertiefung des Films, er ist der Film. Spätestens als der überlebende Corporal durch die brennenden Kulissen einer Trümmerlandschaft sprintet und im Keller der Kirche einer madonnenhaften Mutter mit Kind begegnet (N’ais pas peur!), wird klar, dass es sich um technisch makellosen Kitsch handelt. Daran hat die uninspirierte Musik einen nicht unwesentlichen Anteil. Zwischen hohlem Bombast und dem ratternden Stakkato, wie es in einem mittelmäßigem Tatort der obligatorischen Verfolgungsjagd Nervenprickel verleihen soll, stellt sich nach einer Weile Überdruss ein.

Ich muss gestehen, dass ich den Film in der Mitte abgebrochen habe. Wie viel fesselnder ist allein der Trailer zu Peter Jacksons Weltkriegsdokumentation They Shall Not Grow Old! Die nachgeschärften und kolorierten Bilder bringen einem die verschwommenen, schwarzweißen Zeitdokumente, die der Historizität anheimgefallen sind, geradezu schmerzhaft nahe. Der steht für mich als nächster auf der Liste. Ich muss nur noch ein bisschen Mut fassen.

268x0w1917

Regie: Sam Mendes 2019

Trailer

1917 bei Amazon

Tales From The Loop – Die Zukunft war gestern

Angesiedelt im retrofuturistischen Bildkosmos des schwedischen Künstlers Simon Stalenhag erzählt Tales From The Loop von rätselhaften Vorkommnissen in einer Kleinstadt in Ohio, die über dem Loop liegt, einem gigantischen Teilchenbeschleuniger, der die ‚Geheimnisse des Universums‘ enthüllen soll.

Warum Ohio, wenn die Vorlage doch eine schwedische ist? Vermutlich aus dem gleichen Grund, weshalb  europäische Vorlagen für amerikanische Zuschauer regelmäßig nachgedreht werden. So erging es auch Erfolgsserien wie Die Brücke oder Kommissarin Lund, deren Remakes nicht annähernd die Qualität der Vorbilder erreichen. Bei Tales From The Loop (mutmaßliches Zitat aus der Produktionsvorbesprechung bei Amazon: Ihr könnt machen, was ihr wollt, Hauptsache, das Ding spielt in Amerika!) haben die Macher jedoch gute Arbeit geleistet und eine quasi ‘europäische’ Serie abgeliefert, mit bedächtiger Erzählweise, kraftvollen Bildern und dichter, märchenhafter Atmosphäre. Zwar passen die putzigen Roboter nicht zu der im Boden schlummernden High-Tech, und der vage Zeitbezug (Wohnungseinrichtungen, Plattenspieler und klobige Röhrenfernseher verorten die Handlung irgendwann in den Siebzigern) irritiert, doch erweist sich der schwankende Unterbau als erstaunlich tragfähig für die Entfaltung einer geheimnisvollen Stimmung, in der nichts unmöglich scheint. Science Fiction ist das zwar nicht, geht aber als Mystery-Serie für große Kinder sehr in Ordnung. Wer sich jemals gefragt hat, wie es wäre, einmal jemand anderer zu sein, sich selbst als Kind zu begegnen oder die Zeit anzuhalten, wird hier fündig. Actionfans sollten freilich die Finger von der Fernbedienung lassen. Alle anderen werden mit einem beeindruckend schönen Filmerlebnis belohnt.

Tales From The LoopTales From The Loop

Mystery-Serie nach Motiven von Simon Stalenhag

Trailer

Simon Stalenhag bei Amazon

Tales From The Loop bei Amazon

Ad Astra – und wieder zurück

Ein Forschungsraumschiff, das nach Hinweisen auf unbekannte Intelligenzen suchen soll, ist in der Nähe des Neptuns seit 20 Jahren verschollen. Irgendwas stimmt nicht mit dem Antimaterie-Antrieb, und jetzt rollen Wellenfronten gegen die Erde an, die unsere Zivilisation zu vernichten drohen. Klar, dass da jemand nach dem Rechten sehen und die Bedrohung mit einem atomaren  Sprengkopf beseitigen muss.

So weit, so bescheuert, könnte man meinen, doch dieses Instant-Urteil wird dem Film keineswegs gerecht. Das zeigt sich schon in der atemberaubenden Eröffnungssequenz, die wohl nicht ganz zufällig an Gravity erinnert.  Roy McBride (Brad Pitt), Angestellter der amerikanischen Weltraumbehörde SpaceCom, führt eine Reparatur an einer Weltraumantenne aus und stürzt nach einem Unfall minutenlang in die Tiefe, bis er sicher auf der Erde landet. Das ist überzeugend umgesetzt und herausragend gefilmt und nimmt schon  mal ein für den Film, und das ist auch nötig, denn was folgt, ist im Kern eine im inneren Monolog stattfindende Auseinandersetzung mit dem abwesenden Vater und ein langwieriger, quälender Prozess der Selbsterkenntnis. Der stoische McBride, dessen Herzschlag niemals über 80 steigt, bewahrt zwar in jeder Situation einen kühlen Kopf, ist aber letztlich liebesunfähig und einsam. Zeit zum Nachdenken bekommt er jedenfalls, denn er wird zunächst  zum Mars geschickt, um Kontakt mit dem überlebenden Expeditionsleiter des verschollenen Forschungsraumers aufzunehmen – seinem Vater. Von dort aus geht es dann etwas eigenmächtig weiter zum Neptun, wo es zur entscheidenden Begegnung kommt. Zwischendurch sind immer wieder Action-Episoden eingefügt, die einerseits etwas aufgesetzt wirken, anderseits (wie zum Beispiel bei einer Verfolgungsjagd von Mondrovern) enorme Schauwerte bieten – und nicht nur das. Im Interview sagte Regisseur James Gray, er habe vor allem die Lebensfeindlichkeit des Weltraums zeigen wollen. Und das ist ihm dank großer Detailgenauigkeit auch gelungen. Während der interplanetarische Fernflug zum Seelentrip wird, fängt die Kamera immer wieder die trostlose Schönheit des Raums ein, untermalt vom unaufdringlichen Soundtrack und McBrides ruhiger Stimme.  Damit liefert der Film auch die dunkle Folie, auf der seine simple, aber erstaunlich zeitgemäße Botschaft angemessen leuchten kann. Konterkariert wird dies freilich durch völlig überflüssige Durchhänger, so wenn ds Raumschiff auf seinem Flug vom Mars zum Neptun aus nächster Distanz erst den Jupiter und dann den Saturn passiert, ganz so, als wären die Planeten aufgereiht wie auf einer Schnur. Das ist Blättern im Planetenatlas für Kinder.

Auch wenn der nachdenkliche, melancholische McBride in psychologischer Hinsicht manchmal wie ein Wiedergänger von Officer K aus Blade Runner 2049 wirkt, ist Ad Astra alles andere als ein großer, runder Wurf. Dennoch fällt mein Fazit positiv aus. Trotz einiger dramaturgischer Albernheiten (sprich Zugeständnissen an die vermutete Erwartungshaltung des Publikums) und kleinerer technischer Ungereimtheiten ist Ad Astra ein ernsthafter SF-Film mit einem hohen Grad an Realistik, der von Brad Pitts intensiver Darstellung über alle Untiefen hinweggetragen wird. Sehenswert. 

Bildergebnis für ad astra zu den sternen

Ad Astra

Regie: James Gray 2019

Trailer

Amazon

Green Book

Der Film spielt 1962. Damals war ich neun Jahre alt. Ich hatte die in meinem Umfeld üblichen Vorurteile gegenüber Zigeunern, Schwulen und geschiedenen Frauen, die unter dem Verdacht der ‘Liederlichkeit’ standen (für die betroffenen Männer galt dies nicht, was mir aber wohl erst später aufgefallen ist). Und in der Messe verkündete der Pfarrer vor den Wahlen von der Kanzel aus seine Parteipräferenz – CDU. Sollte sich mal ein Farbiger in meine Kleinstadt verirrt haben, dann habe ich ihn vermutlich angestarrt. Nicht mal im Traum aber wäre mir die Idee gekommen, dass Menschen unterschiedlicher Hautfarbe getrennte Toiletten benutzen und in verschiedenen Restaurants essen müssen. Dass damals in den Südstaaten der USA noch Rassentrennung herrschte, wurde mir erst sehr viel später bewusst. Für mich war Amerika viele Jahre lang vor allem ein leuchtender Stern, das Land der Befreier vom Nationalsozialismus, der aufregenden Musik und der besten Literatur gleich nach den russischen Klassikern.

Green Book ist ein Roadmovie; es geht um einen türkisfarbenen Cadillac und die beiden Männer, die darin durchs Land fahren, nämlich Don Shirley (Mahershali Ali), einen farbigen Jazzpianisten mit Doktortitel, und den Italoamerikaner Tony Lip (Viggo Mortensen), Türsteher von Beruf. Als Reiseatlas dient das titelgebende Green Book. Darin sind die Hotels und Lokale aufgeführt, die Schwarze als Kunden akzeptieren. Während der stundenlangen Fahrten prallen die Gegensätze aufeinander; hier Tony, der machohafte Familienmensch mit dem losen Mundwerk und dem milieuüblichen Maß an Rassismus, dort Shirley, der kultivierte Schwarze, der in der Carnegie Hall residiert und in seinem Elfenbeinturm nicht merkt, wie einsam er ist.

Shirley ist das, was die Aktivisten der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung abfällig als ‘Onkel Tom’ bezeichnet haben – sein Erfolg beruht auf Anpassung, die bis zur Selbstverleugnung geht. In Moskau hat er Klavier studiert (Chopin, Liszt, Beethoven), doch jetzt spielt er durch klassische Technik und Virtuosität aufgepeppte ‘weiße’ Unterhaltungsmusik, weil, wie er sagt, die Weißen es nicht tolerieren würden, wenn ein Schwarzer die Musik ‘ihrer’ Komponisten vortrüge. Die Kultur der Schwarzen ist ihm ein Buch mit sieben Siegeln; von Aretha Franklin oder Buddy Holly, die Tony im Radio laufen lässt, hat er noch nie etwas gehört, was seinen Chauffeur zu der nicht ganz falschen Bemerkung veranlasst, er selbst sei der Schwärzere von ihnen beiden. Und so kommt es, wie es kommen muss: Während die Villen immer größer und stattlicher und die Unterkünfte für den schwarzen Superstar immer schäbiger werden, je weiter nach Süden sie gelangen, entwickeln die beiden so gegensätzlichen Männer Respekt voreinander und werden Freunde. In der Schlüsselszene des Films begehrt Shirley dann endlich einmal auf, als er in dem Club, in dem er vor erlesenem Publikum spielen soll, nicht in den Speisesaal eingelassen wird. Er verweigert den Auftritt.

Green Book ist klassisches Hollywood-Kino: Der Film entwickelt einen mitreißenden Sog, nimmt für die beiden Hauptfiguren ein, drückt mächtig auf die Tränendrüse und vermittelt dem Zuschauer das wohlige Gefühl, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen. Nichts daran ist innovativ, nichts tut wirklich weh. Trotzdem ist es gut,  sich hin und wieder zu erinnern, wie es vor gar nicht so langer Zeit gewesen ist, und in den selbstgewählten Grenzen ist der Film perfekt. Fast möchte man meinen, er könnte eine Medizin sein gegen die gnadenlose Polarisierung des gegenwärtigen Amerika, die nicht mal bitter schmeckt. Das aber hieße, an Homöopathie zu glauben. Dabei braucht Amerika doch eher eine pharmazeutische Keule mit ellenlanger Liste der Nebenwirkungen.

Bildergebnis für green bookGreen Book

Regie: Peter Farrelly

Trailer

Amazon


Chernobyl – Blick in den Abgrund

Am 26. April 1986 explodierte in Tschernobyl der Reaktorblock 4 des Atomkomplexes und machte die ukrainische Stadt auf einen Schlag weltbekannt. ‘Das Atom, das wasch ich ab’ zitierte die BILDzeitung einen Rentner, als die strahlende Isotopenwolke Deutschland bereits erreicht hatte, und verfehlte damit die Bedeutung des Augenblicks, nun ja, haarscharf. Vielmehr handelte es sich um eines jener Ereignisse, die sich wie auch 9/11 in das Gedächtnis all jener eingebrannt haben, die es miterlebten. Es war etwas geschehen, was niemals hätte geschehen dürfen. In der Folgezeit, als die Bekömmlichkeit von Pilzen, Milch und Beeren nach Becquerel bemessen wurde, mutierten viele, die bislang der Kernkraft eher aufgeschlossen gegenüberstanden, zu überzeugten Gegnern deren ziviler Nutzung.

Jetzt haben HBO und Sky die Katastrophe verfilmt, mit äußerst sehenswertem Ergebnis. In nahezu dokumentarischem Stil wird der Gang der Ereignisse in fünf Folgen geschildert, angefangen von der Explosion im Reaktorkern nach einem gescheiterten Experiment, bis zu den todesmutigen Einsätzen der so genannten Liquidatoren, die das aus dem Reaktor herausgeschleuderte ‘heiße’ Material teils mit den Händen zurück in die Ruine beförderten.

Zu besichtigen sind zunächst überforderte Techniker, inkompetente Verantwortliche und verantwortungskose Apparatschiks, die Vertuschung und Beschwichtigung nach altsowjetischem Muster betreiben und die Hilfskräfte ohne Schutzausrüstung ins atomare Feuer und damit ihr Verderben schicken. Ein irrwitziges Detail: Das gebräuchliche Dosimeter geht nur bis 3,6 Röntgen, das ‘gute’ ist in einem Schrank eingeschlossen, dessen Schlüssel zunächst nicht auffindbar ist. Später erweist sich, dass auch dessen Skala, die bei 3600 Röntgen endet, bei weitem nicht ausreicht, um die Strahlenbelastung zu quantifizieren. Im Tschernobyler Krankenhaus sind nicht mal Iodtabletten vorhanden, die Bevölkerung darf ungewarnt der Schaulust frönen, während die Kinder im Ascheregen spielen. Gorbatschow kommt dabei noch vergleichsweise gut weg, erteilt er doch bei einer ZK-Sitzung dienstbeflissener Beschwichtiger dem eher zufällig anwesenden Atomphysiker Legassow (Jared Harris) das Wort. So kann mehr als 30 Stunden nach der Katastrophe endlich die Evakuierung Tschernobyls eingeleitet werden.

Chernobyl findet für das ungeheuerliche Geschehen überzeugende, authentisch wirkende Bilder. Auf dramatisierende Zuspitzungen und emotionalisierende Musik wurde weitgehend verzichtet, aber nicht ganz.  So kam es laut WHO und IAEA zu 9000 tödlichen Krebserkrankungen infolge des Unglücks, den Folgen akuter Strahlenkrankheit erlagen jedoch  ‘nur’ etwa 50 Menschen; in der Serie wird der Eindruck erweckt, dass es eine wesentlich höhere Zahl von Betroffenen gab. Dessen ungeachtet erzählt die Serie eher unaufgeregt. Trotzdem stellt sich eine nervenzerfetzende Spannung ein, die der Wucht der Ereignisse entspricht. In der letzten Folge, die dem Gerichtsprozess gewidmet ist, der die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen soll, wird allerdings deutlich, dass die Katastrophe von Tschernobyl nicht zum Beleg für die prinzipielle Unbeherrschbarkeit der Kernkraft taugt. Vielmehr stellt sich heraus, dass der dort verwendete Reaktortyp inhärent unsicher war und dass seine Risiken selbst den Bedienmannschaften verschwiegen wurden. So erscheint der apokalyptische Blick in den qualmenden Schlund des zerstörten Kraftwerks weniger als Menetekel der Atomtechnik, sondern vielmehr als Sinnbild für das Scheitern eines dysfunktionalen politischen Systems, nämlich der Sowjetunion.

Bildergebnis für sky chernobylChernobyl

Fernsehserie

Regie: Johan Renck
Drehbuch: Craig Mazin

zu streamen bei Sky Ticket

Foto: Copyright HBO/Sky