Brian Greene – Der Stoff, aus dem der Kosmos ist

Amerikanischen Wissenschaftlern sagt man nach, sie verstünden sich besonders gut darauf, in ihren Sachbüchern komplexe Sachverhalte einem breiten Publikum verständlich zu machen. Das ist vermutlich richtig. Machen schießen dabei allerdings übers Ziel hinaus, indem sie Analogien verwenden, die für Kulturfremde schnell den Charakter von Rätseln annehmen, die es zunächst zu entschlüsseln gilt. Gerne dürfen dafür ausgefallene Comicfiguren herhalten oder im Falle der Physikerin Lisa Randall (Verborgene Universen) selbstausgedachte Geschichten. Die erweisen sich jedoch häufig eher als retardierende Momente – Langeweile droht die Neugier zu ersticken, und bewiesen wird dabei vor allem, dass am Autor kein Erzähler verlorengegangen ist.

Das Buch mit dem Untertitel ‘Raum, Zeit und die Beschaffenheit der Wirklichkeit’ zielt im wahren Wortsinn aufs Ganze, und auch Brian Greene greift hin und wieder auf Comics zurück (gern die Simpsons), um den anspruchsvollen Stoff rüberzubringen. Bei ihm aber fallen die  Analogien durchweg erhellend aus. Mit seiner breiten Kenntnis der Wissenschaftsgeschichte und seinen Ausflügen auf das Gebiet der Philosophie und Literatur schafft er es, sowohl materiefremde als auch naturwissenschaftlich vorgebildete Leser zu unterhalten und zu fesseln. Seine Begeisterung für die Physik ist ansteckend. Mit seinem klaren Schreibstil gelingt es ihm, auch komplizierteste Sachverhalte verständlich dazustellen. Die Entwicklung der Physik von Isaac Newton über Mach zu Einstein und den Quantentheoretikern, von der klassischen Physik über Relativitäts- und Quantentheorie zu den Konzepten der String- und M-Theorie – das ist eine faszinierende Reise, die Greene anschaulich erfahrbar macht als einen Prozess der Weiterentwicklung, des Widerspruchs und des Wiederaufgreifens in neuer Gestalt. Beispielhaft macht er dies deutlich am Beispiel der Vorstellung vom leeren Raum, den Newton für absolut hielt und in dem Mach lediglich etwas durch die Körper Bedingtes sah, bis Einstein ihn mit der Zeit zu einem Kontinuum verknüpfte und die Quantentheorie dem Begriff ‘Leere’ eine ganz neue Bedeutung gab.

Green schwafelt und simplifiziert nicht, er erklärt. Die relevanten Experimente wie zum Beispiel das berühmte Doppelspaltexperiment zum Nachweis des Welle-Teilchen-Dualismus oder die Versuchsanordnungen zum Nachweis der Teilchenverschränkung (das, was Einstein als spukhafte Fernwirkung bezeichnet hat) werden ausführlich beschrieben, und zwar ohne Rückgriff auf mathematische Formeln. Wer die Materie vertiefen möchte, wird in den Anmerkungen fündig. Im hinteren Teil des Buches, wenn es um das Higgs-Feld, die Stringtheorie, Wurmlöcher und Multiversen geht, verliert die Darstellung zunehmend an Bodenhaftung, was freilich nicht dem Autor, sondern dem Gegenstand der Darstellung geschuldet ist. Die zugrundeliegende Mathematik lässt sich dem Laien nicht mehr vermitteln. Physik erscheint hier als Spekulation, die der Falsifizierung nicht mehr zugänglich ist. Allerdings scheint auch die Hoffnung auf, dass selbst diese weit ausgreifenden Konzepte irgendwann überprüft und bestätigt oder verworfen werden können, und inspirierend sind sie allemal.

Obwohl nicht mehr ganz neu, sei Greenes Buch jedem, der sich für die Wirklichkeit jenseits des beschränkten Erfahrungshorizonts interessiert und sich über den Stand der Physik und der Kosmologie informieren will, wärmstens empfohlen.

Der Stoff aus dem der Kosmos ist von Brian Greene

Brian Greene
Der Stoff, aus dem der Kosmos ist, Sachbuch

aus dem Amerikanischen von Hainer Kobert
Siedler 2004

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