Manchmal, ganz selten, überkommt mich das bizarre Verlangen, mich einer der geschlossenen Foren oder Facebook-Gruppen anzuschließen, die sich mit Reptiloiden, Chemtrails, der Flacherde oder Kreationismus beschäftigen. Dahinter steht wohl einerseits Neugier, andererseits drückt sich darin möglicherweise auch der irgendwo im Verborgenen gärende Wunsch aus, die anstrengende Rationalität zumindest auf Zeit mal abzustreifen wie, nun ja, eine Reptilienhaut. Warum immerzu bloß das glauben, was man glauben soll und wissen kann, und nicht das, was man glauben will? Braucht man zum Denken wirklich das Gehirn, oder tut es nicht auch der dicke Zeh? Zum Teufel mit den verfluchten Experten und ihrem selbstverliebten Geschwafel!
Zum Einstand hätte ich meine ganze eigene Verschwörungstheorie anzubieten, und die geht so: Putin hat in einem streng geheimen KGB-Labor ein besonders tückisches Virus entwickeln lassen. Freigesetzt im verhassten liberalen, pluralistischen, demokratischen Westen, entfaltet es unbemerkt seine diabolische Wirkung und bringt die Menschen dazu, an allem zu zweifeln, was
ihnen jahrzehntelang Stabilität und wachsenden Wohlstand beschert hat. Die staatlichen und internationalen Institutionen erscheinen auf einmal obsolet, die Demokratie mit ihrer komplizierten Gewaltenteilung – ein Fliegenschiss der Geschichte. Globaler Handel nützt nur den anderen. Die EU raubt uns die Identität! Das Virus verengt den Blickwinkel, schrumpft den geistigen Horizont, setzt Logik, Selbstkritik und Anstand außer Kraft. Mehr oder weniger plötzlich dumm geworden, erliegen die Betroffenen wehrlos den abstrusesten Beschwörungen. Das Gewohnte verbreitet bleierne Langeweile, die unbezähmbare Lust auf Neues macht; schmecken die alten Gerichte fad, müssen kräftige Gewürze her. Die liefern die Tabuverletzter, Grenzüberschreiter und notorischen Vereinfacher, deren Propaganda am Facebook-Stammtisch vervielfacht wird. Hier kann jeder ein Influencer sein, und jeder findet auch sein ganz spezielles Grüppchen, womit wir wieder bei den Flachweltlern und ihren Geistesverwandten angelangt wären.
Das ist natürlich blanker Unsinn. Und ich schwöre, ich war nie Mitglied in einer der genannten FB-Gruppen und werde es auch nie sein. Allerdings schaue ich manchmal den Kondensstreifen am Himmel hinterher und frage mich …
Schluss damit. Das Jahr 2018 hatte mehr zu bieten als Trump-Getwitter, Nationalistengedröhn und populistische Disruption. Zum Beispiel … einen Sommer. Keine westeuropäische Regenzeit, sondern einen Sommer, wie er sonst nur im Buche steht. Einen Sommer mit gelben Wiesen, braungebrannten Beinen und langen Abenden im Freien. Mediterrane Gelassenheit machte sich breit. Doch dann dehnte sich die Hitzeperiode, der Regen blieb hartnäckig aus, und störende Gedanken stellten sich ein: Ist das jetzt der Klimaumschwung? Geht es so weiter? Was kostet eine Klimaanlage? Müssen auch wir bald mit Waldbränden und sommerlichem Wassermangel leben? Wann siedeln sich die ersten Palmen an, und welche Krankheiten überträgt die Tigermücke? An der Klimaerwärmung besteht kein vernünftiger Zweifel, und die obigen rhetorischen Fragen könnten bald relevanter werden, als einem lieb ist. Dennoch habe ich den Sommer genossen und werde ihn im Gedächtnis behalten als einen, wie er sonst nur in der Erinnerung an Kindheitstage vorkommt.
Zum Abschluss der übliche Arbeitsbericht. 2018 sind für meine Verhältnisse ungewöhnlich viele Storys erschienen, nämlich vier: Das Museum der toten Dinge in Nova 25, Das Versprechen in Spektrum d. Wissenschaft 4, Wir kommen in Nova 26 und Der Wächter in Exodus 38.




Des Weiteren habe ich eine Sammlung mit 10 SF-Storys aus den Jahren 2013 bis 2018 rausgebracht (Honeypot), und meine Romane Der Weg nach unten von 1992 sowie New York ist himmlisch von 1988 wurden bei Apex wiederveröffentlicht. Honeypot und Der Weg nach unten sind als Paperback und E-Book erhältlich, New York ist himmlisch ausschließlich als E-Book.



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