Wie das Jahr war? Nun, es gab wenig Schnecken. Im Vorjahr machten die schleimigen Weichtiere jeden Spaziergang zum Slalomlauf (ja, ich weiche Schnecken aus!) und knabberten sich durch die Blumenpracht des Gartens. Dieses Jahr gab es kaum welche – fast war man geneigt, die sporadischen Einzelgänger als Überlebende zu begrüßen. Ebenfalls bemerkenswert, dass die Kapuzinerkresse, die 2016 den Raupen zum Opfer gefallen war, diesmal bis in den Oktober hinein blühen durfte.
Und dann war da Trump. Ich muss gestehen, dass ich ein wenig besessen von ihm war. Seine Tweets, abgefeuert aus dem Zentrum des amerikanischen Wahnsinns, erreichten mich auch ohne eigenen Twitter-Account mit enervierender Regelmäßigkeit. Nach der Inaugurationsrede, mit der er Dampfmaschinenkapitalismus als Zukunftsvision zu verkaufen suchte und die wie eine Drohung an Freund wie Feind rüberkam, gab es einfach kein Entkommen mehr. Meine Fassungslosigkeit darüber, dass ein kompetenzfreies Großmaul amerikanischer Präsident werden kann, dass ein rückwärtsgewandter, bauchgesteuerter Populist ohne Respekt vor Verfassung, Demokratie und dem Unterschied zwischen Wahrheit und Lüge im Weißen Haus eine Clique aus Familienangehörigen, Karrieristen und Jasagern um sich schart, die so manche Oligarchendikatur in den Schatten stellt, erneuerte sich zuverlässig von Mal zu Mal. Die Fernsehnachrichten machten es auch nicht besser; seine Körpersprache und Mimik waren für mich ein rotes Tuch, dagegen kam ich nicht an. Erkenntnisgewinn versprachen zahllose politische Artikel, soziologische Analysen und psychologische Ferndiagnosen. Ich habe viele gelesen. Das meiste erschien mir zutreffend. Aber schlauer bin ich letztlich nicht geworden.
„Meine Unterstützer sind so klug. Das sagen auch die Umfragen. Sie zeigen, dass ich die loyalsten Anhänger habe. Wussten Sie das schon? Ich könnte quasi mitten auf der 5th Avenue stehen und jemanden erschießen, und würde trotzdem keine Wähler verlieren. Okay?! Das ist unglaublich!“
Ja, Mr. President, das ist unglaublich. Man nennt es wohl Vasallentreue. Was müsste geschehen, damit das ihm ergebene Drittel der amerikanischen Bevölkerung von seinem selbstgewählten Führer abfällt? Ich mag es mir nicht vorstellen und nehme Zuflucht bei Bertolt Brecht: Nur die dümmsten Schafe wählen ihre Schlächter selber. Offenbar befindet sich das politische System der USA in einer tiefen Krise. Die unheilvolle Allianz aus evangelikalem Fundamentalismus, einem vom Großkapital finanzierten Wahlkampf und interessengesteuertem Verblödungsfernsehen haben eine Wahrnehmungsblase erzeugt, in der Menschen ihr Fell nicht verkaufen, sondern mit Freuden verschenken, nur weil sie dazu ermuntert werden, die Sau ihrer Ressentiments rauzulassen.
Ich habe die amerikanische Politik nie unkritisch gesehen, aber trotz aller Fehler und Irrtümer war da im Innern immer auch ein Leuchten, das gespeist wurde von den Idealen der amerikanischen Verfassung und das seinen Widerschein fand in der Vitalität der im besten Sinne populären Kultur, der Literatur, der Musik und dem Film. Jetzt ist dieses Leuchten nur noch ein Glimmen. Aber dennoch: Außer dem Auftrieb, den Trump der Satirebranche verschafft hat, scheint er noch etwas anderes Gutes bewirkt zu haben, das zeigt der Ausgang der Wahlen in den Niederlanden und in Frankreich. Sein Rechtspopulismus ohne Maske kommt in Europa weniger gut an als bei ihm daheim. Vielen und auch mir hat seine America-First-Litanei verstärkt bewusst gemacht, wie wichtig es ist, dass die europäischen Länder politisch und wirtschaftlich mit gemeinsamer Stimme sprechen, denn nur zu gern würden die Trumps dieser Welt uns bilateral in die Mangel nehmen. Dass nach dem Brexit allerorten mit Begeisterung EU-Fähnchen geschwenkt werden, ist auch Pulse of Europe zu verdanken – eine tolle Initiative!
Und weiter mit dem Positiven. Nach Arrival im Vorjahr hat Villeneuve sich mit Blade Runner 2049 erneut als bildmächtiger Weltenbauer erwiesen, der sich mehr für gedanklichen Hintergrund interessiert als für oberflächliche Action. Das war ein echtes Filmhighlight, von dem ich noch eine Weile zehren werde. Das gleiche gilt für meinen Lanzarote-Urlaub. Die Flugreise ist ja vong Morahl her in manchen Kreisen anrüchig geworden, deshalb wäre es vielleicht opportun, von einer Expedition zu sprechen (cool). Tu ich aber nicht. Viele Jahre lang habe ich mir gewünscht, die schwarzen Strände und die Vulkanlandschaften wie von einem anderen Stern kennenzulernen, jetzt war es so weit. Und ja, es war eine Luxusreise, aber ich bereue nichts!
Last but not least sind ein paar Veröffentlichungen zu vermelden. Anfang des Jahres ist bei Heyne mein Roman Kolonie erschienen, der das Schicksal der ersten extrasolaren Weltraumkolonisten erzählt, dreißig Jahre nach der Ankunft auf dem Planeten Corazon – eine melancholische Bestandsaufnahme, die letztlich neue Handlungsoptionen eröffnet. Es folgten die Storys UWU XP4 macht den Touring-Test in Spektrum der Wissenschaft und Andrea/s im Erker, wo auch ein längeres Interview mit mir erschienen ist. Für mich eine besondere Freude: Die Neuveröffentlichung meines Romans Der Weg nach unten von 1992.