Patricia Highsmith – Das Zittern des Fälschers

“Die Wüste verändert einen”, sagt Howard Ingham irgendwann. Der Prozess ist im Roman zu besichtigen. Zunächst aber herrscht Ferienstimmung. In einem kleinen Städtchen in Tunesien erwartet der Schriftsteller Ingham in einem Luxushotel das Eintreffen eines New Yorker Regisseurs, mit dem zusammen er ein Drehbuch entwickeln möchte. Doch der lässt ebenso auf sich warten wie die Post seiner Verlobten Ina. Also macht er Urlaub, schwimmt im Meer und schließt Bekanntschaft mit dem dänischen Maler  Jensen und dem Amerikaner Adams, einem bibelfesten Propagandisten des American Way of Life. Fünfzig Seiten lang geschieht beinahe nichts. Man ahnt, dass die Idylle nicht von Dauer ist, und Ingham ahnt es auch. Seine Nachfragen an der Hotelrezeption werden erst hektischer, dann versiegen sie allmählich.

Die Dinge geraten in Bewegung. Inghams Zeitgefühl löst sich auf, und er beginnt einen Roman mit dem Arbeitstitel Das Zittern des Fälschers. Der Regisseur hat sich in Inghams Wohnung umgebracht,  Ina hatte eine Affäre mit ihm. Jensens Hund verschwindet, und Ingham wirft einem Einbrecher seine Schreibmaschine an den Kopf. Der Mann bricht vor der Tür zusammen, die Hotelboys schleifen ihn fort. Ingham weiß nicht mit Sicherheit, ob der Eindringling tot ist, doch er nimmt es an. Für ihn hat das keine Konsequenzen. Was ist wichtig, was unwichtig? Er ist nicht nicht mehr sicher. Jensen sagt, der tote Araber sei nicht mehr wert als ein Floh. Das erscheint ihm plausibel. Befindet er sich nicht in einer fremden Welt, in der andere Maßstäbe gelten?

Wie um seinen Verwandlungsprozess zu beschleunigen, zieht Ingham zu Jensen ins Araberviertel. Die Beziehung zu dem schwulen Mann ist das eigentliche Zentrum des Romans. Während Ingham grübelt, was sein Wertesystem legitimiert und ob er nicht in der Lage sei, aus sich heraus autonom seine eigenen Werte zu schaffen, findet er bei dem nihilistischen Jensen Halt. Die homoerotische Komponente ihrer Beziehung ist dabei, wie vieles im Roman, nur angedeutet. Das Trinken aus einer Flasche bei einem Wüstenausflug ist auch schon der intimste Moment, den sie teilen. Überhaupt ist die Subtilität der Erzählung staunenswert. Nicht nur bleibt die große Katastrophe aus, in die Highsmith-Romane für gewöhnlich münden; alle Figuren sind ohne Wertung mit all ihrer Uneindeutigkeit und ihren Widersprüchen gezeichnet. Gedankengänge schlagen blitzschnell in ihr Gegenteil um. Selbst der tumbe, aufdringliche Adams, der heute vermutlich ein fanatischer Trumpist wäre, erweist sich immer wieder als sympathische, mitfühlende Person, und die arabischen Nachbarn, zunächst der Tötung von Jensens Hund verdächtigt, betrachtet Ingham am Ende auf einmal als ‘Freunde’.

Im lesenswerten Nachwort analysiert der Herausgeber Ingendaay akribisch die kunstvolle Komposition des Romans. Davon merkt man beim Lesen nichts; das heißt, man merkt es schon, wird sich dessen aber erst im Nachhinein bewusst. Nicht zufällig erschien Das Zittern des Fälschers 1969 nicht als Genreroman, sondern in der Hauptreihe ihres Verlages. Der amerikanische Herausgeber schrieb ihr, sie sei eine ‘große Schriftstellerin’. Wohl wahr.

Patricia Highsmith
Das Zittern des Fälschers (The Tremor of Forgery)

Aus dem Amerikanischen von Dirk van Gunsteren

Diogenes 2002

Patricia Highsmith bei Amazon

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