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Alex Michaelides – Die verschwundenen Studentinnen

Tragik liegt in der Luft

In seinem Erstling Die stumme Patientin  verblüfft Michaelides mit einem Stunt in Form zweier parallel erzählter Handlungsstränge, die vom Leser  in derselben Zeitebene angesiedelt werden. Dass sie ‘in Wirklichkeit’ zeitlich versetzt spielen, erschließt sich erst zum Schluss und lässt die Geschichte in ganz neuem Licht erscheinen. Die Wirkung ist frappierend und lohnt allein schon die Lektüre. Jetzt ist Michaelides’ zweites Buch erschienen, und es stellt sich die Frage, ob es dem Autor gelingt, an seinen frappierenden Erstling anzuschließen.

Jedenfalls bleibt er bei seinen bewährten Leisten. Nach dem Psychotherapeuten Faber in Die stumme Patientin steht diesmal die Gruppentherapeutin Mariana Andros im Mittelpunkt. Als eine Kommilitonin ihrer Nichte und Ziehtochter Zoe ermordet wird, reist Mariana zu ihr nach Cambridge, um  ihr beizustehen, und bleibt, um auf eigene Faust Ermittlungen anzustellen. Schon bald hat sie sich auf einen undurchsichtigen Professor versteift, der Griechisch unterrichtet und einem Geheimbund junger Studentinnen vorsteht, genannt ‘Die Mädchen’. Das Mordopfer kommt aus diesem Kreis, und bald ist auch schon das zweite Mädchen. Weitere Zutaten zu der Geschichte sind gewichtige Zitate von Tennyson und Shakespeare, die griechischen Tragödien mit besonderer Betonung auf Euripides, die romantischen Gemäuer und stillen Höfe von Cambridge, ein eifersüchtiger Patient, der Mariana nachstellt, ein zudringlich-charmanter Physikstudent, ein auffälliger Portier und eine dreiste Reinemachfrau. Doch das Gericht mag nicht recht schmecken. Für Mariana, die sehr auffällig ihrem auf Naxos (!) verstorbenen Mann nachtrauert, gilt das Motto ‘Denn sie weiß nicht, was sie tut’. Ihre Ermittlungsbemühungen wirken unbeabsichtigt tapsig, ihr psychologischer Durchblick ist durch eine beschlagene Brille getrübt, und wenn es knifflig wird, ist sie hilflos und muss schon mal weinen. In der Rolle der Ermittlerin ist sie eine glatte Fehlbesetzung. Dass der oben erwähnte Professor von Anfang an als Hauptverdächtiger aufgebaut wird, ist der Spannung ebenfalls nicht zuträglich, weiß man doch, dass er den ungeschriebenen Gesetzen der Kriminalliteratur nach der Täter nicht sein kann.

Leider ist die aus dem Ruder gelaufene Gruppensitzung vom Anfang des Buches bereits eine der spannendsten Episoden. Und es ist klar, dass sich der erzählerische Trick aus dem ersten Buch nicht wiederholen lässt. Stattdessen offenbaren sich am Ende haarsträubende Verwicklungen, die eher Kopfschütteln als emotionale Betroffenheit auslösen. Das gilt übrigens auch für den deutschen Titel. ‘Verschwunden’ sind die Studentinnen nämlich nicht wirklich, werden sie doch recht schnell aufgefunden, wenn auch tot. Der neutrale englische Titel ‚The Maidens  trifft es besser.

Alex Michaelides
Die verschwundenen Studentinnen (The Maidens)

Aus dem Englischen von Kristina Lake-Zapp

Droemer 2021

Amazon

Patricia Highsmith – Die gläserne Zelle

Als ich das Genre Kriminalroman entdeckte, ging es gleich mit einem Knaller los, nämlich mit dem Großmeister Raymond Chandler. Dann folgten Dashiell Hammett, Eric Ambler und schließlich Patricia Highsmith. Die Abfolge war nicht ganz zufällig, wurden alle vier Autoren doch Patricia-Highsmith-1962 (c) Wikipediabei Diogenes verlegt, und sie entbehrte nicht einer inneren Logik, nimmt die Erzähltemperatur in dieser Reihe doch merklich ab. Chandler und auch Hammett würzen das Genre mit lakonischen Humor  und dehnen es mit Plots, die bisweilen weit jenseits aller rational nachvollziehbaren Ermittlungsarbeit spielen, bis zum Reißen, bleiben ihm aber mit ihren Antihelden Philip Marlowe und Sam Spade gleichzeitig auch treu. Highsmith hingegen hat das Genre weit hinter sich gelassen, es stellt eigentlich nur noch einen peripheren Bezugspunkt dar, der die Einordnung in Verlagsprogramme erleichtert haben mag. Im Grunde schreibt sie psychologische Romane, die häufig eher durchschnittliche Menschen zeigen, die sich verstricken und dabei zu Verbrechern werden.

Irgend jemand, ich weiß nicht mehr wer, hat ihre traurigen Helden mit Fliegen verglichen, die sich in einem Spinnennetz verfangen haben. Das Bild ist treffend. Highsmith registriert ihr hilfloses Zappeln, schildert ihr Unglück in allen quälenden Nuancen und zeigt dabei, dass Gut und Böse große Begriffe sind, die sich im Klein-Klein des Alltags nur bedingt bewähren. Stattdessen herrscht die unerbittliche Logik der Umstände, und am Ende entscheidet der Zufall, wie der Würfel fällt. 

So ist es auch bei Philip Carter, glücklich verheiratet und Angestellter einer Baufirma. Ohne zu wissen, wie ihm geschieht, landet er wegen Betrugs für sechs Jahre im Knast. Dabei hat er doch nur auf Anweisung seines Chefs seine Unterschrift unter die Bestellungen von minderwertigem Baumaterial gesetzt. Kaum im Gefängnis, wird er von den Wärtern aus nichtigem Anlass an den Daumen aufgehängt – zwei Tage lang. Fortan kann er sie nicht mehr gebrauchen. Sein Anwalt und Freund David Sullivan scheitert mit dem Abtrag auf Revision. Und Gawill, eín Arbeitskollege, äußert den Verdacht, Philips Ehefrau Hazel habe ein Verhältnis mit David begonnen. Damit ist der Keim der Eifersucht gelegt. Halt findet Philip beim Mitgefangenen Max, Max unterrichtet ihn in Französisch und in Karate, leiht ihm Bücher und wird sein Vertrauter und seine Stütze. Als Max ermordet wird, tötet Philip bei einem Gefängnisaufstand einen der Täter. Jetzt erst ist er schuldig geworden, und es wird nicht das letzte Mal bleiben,

Highsmith schildert den bedrückenden Gefängnisalltag detailversessen, aber nicht effekthascherisch. Auch Philips Eifersucht wird nicht dramatisiert und überschreitet nicht die Grenze des nachvollziehbar Normalen, zumal sie sich im zweiten Teil des Buches als berechtigt erweist. Gerade die Nachvollziehbarkeit seiner Empfindungen macht das Verstörende dieses Romans aus. Beim Lesen fühlt man sich selbst dem unspektakulären Wirken einer Schicksalsmaschine ausgesetzt, die Unheil hervorbringt. David verglicht an einer Stelle das Gefühl, einem undurchschaubaren Komplex von Zwängen ausgesetzt zu sein, mit seiner Gefängniserfahrung. Darauf bezieht sich auch der klug gewählte Titel des Romans. Gefängnis und Außenwelt gleichen einander, und für Philip entpuppt sich die ersehnte Freiheit als gläserne Zelle. Das Symmetrie-Motiv wird übrigens mehrfach aufgegriffen, zum Beispiel in Hazels Verhältnis mit David und Philips Freundschaft mit Max. Hazel ist nämlich eifersüchtig auf Max  und bittet Philip, die Beziehung zu ihm zu beenden, vielleicht weil sie ahnt, welches Potenzial sie birgt. Dabei belassen es die beiden Gefangenen bei einer fast zufälligen Berührung an der Schulter. Darin, wie sie die verborgene Bedeutung dieser Berührung ganz nebenbei deutlich macht, zeigt sich Highsmiths Erzählkunst. Die Gläserne Zelle. hellsichtig und schnörkellos erzählt, gehört nicht zu ihren spannendsten Romanen, ist aber eine runde Sache, deren Lektüre sich noch immer lohnt.

Die gläserne Zelle (detebe) von [Patricia Highsmith, Paul Ingendaay, Werner Richter]


Patricia Highsmith

Die gläserne Zelle, Roman

Aus dem Englischen von Werner Richter

Diogenes

Patricia Highsmith bei Amazon

Australische Hitze, Doppelpack

Der Zufall wollte es, dass ich, während in Down Under der Busch brannte, zwei australische Kriminalromane geschenkt bekam: Hitze von Jane Harper und Outback von Chris Hammer. Die beiden Bücher weisen ein paar oberflächliche Gemeinsamkeiten auf. Beide spielen in einer von der sengenden Sonne ausgedörrten australischen Kleinstadt, deren Bewohner ums wirtschaftliche Überleben kämpfen, und bei beiden steht am Anfang eine zunächst unerklärlich scheinende blutige Tat. Bei Jane Harper tötet ein Farmer seine Frau und seine Tochter und schließlich sich selbst, oder auch nicht; ein früherer Stadtbewohner, jetzt Polizist für Wirtschaftsverbrechen in Melbourne, kommt zur Beerdigung und bleibt, um bei den Ermittlungen zu helfen. Bei Chris Hammer erschießt ein Priester kurz vor Beginn der Messe fünf Kirchenbesucher, und ein Jahr nach der unerklärlich scheinenden Tat erhält ein Journalist den Auftrag, ein Stimmungsbild der Stadt zu zeichnen.

Damit haben  sich die Gemeinsamkeiten aber auch schon erschöpft. Um es kurz zu machen: Harpers Roman hält nicht, was er verspricht. Es ist jedenfalls kein ‘Thriller’, zu dem ja heute fast jeder Krimi zu Verkaufszwecken sprachlich hochgetunt wird, sondern ein brav heruntergeschriebenes Machwerk, von dessen Lektüre heftigst abzuraten ist. Die titelgebende Hitze kommt so flau rüber wie ein mittelwarmer Sommerabend aus deutschen Landen, die Dialoge haben das Niveau einer Vorabendserie, und weder die Tat noch irgendeine der auftauchenden Personen vermögen auch nur das geringste Interesse zu wecken. Hier ein Beispiel: Luke, Aaron und Ellie sind um die sechzehn, ein verschworenes Trio. Eines Abends taucht Luke mit Gretchen auf, den Arm um ihre Taille gelegt. Peinliches Schweigen ist die Folge. Und dann heißt es: ‘Plötzlich sah Gretchen das andere Mädchen mit einem verschwörerischen Lächeln an und ließ eine ungeheuer gemeine Bemerkung über eine von Ellies früheren Freundinnen vom Stapel. … Dann stieß Ellie ein kurzes prustendes Lachen aus.’ Das ist der Turning Point der Szene. Dass die Autorin dem Leser ausgerechnet diese ‘ungeheuer gemeine Bemerkung’ vorenthält, liegt vermutlich daran, dass sie ihr nicht eingefallen ist – kann passieren. Aber damit macht sie nicht nur die Szene kaputt, sondern leistet ganz nebenbei den schriftstellerischen Offenbarungseid. Im Übrigen ist das einzig Bemerkenswerte an diesem Buch für mich das Zitat von Ian Rankin auf dem Cover: ‘Absolut fesselnd!’. Dankeschön, Mr. Rankin, ich fasse das mal als Warnung vor Ihren eigenen Werken auf.

Outback von Chris Hammer ist da ein ganz anderes Kaliber.  Martin Scarsden, den in Rivers End recherchierenden Journalisten, stattet er mit einem scharfen Blick für die ländliche Umgebung aus. Schon auf den ersten drei Seiten erfährt man, wie das Wasser aus dem Hahn schmeckt, wie warm das kalte Duschwasser ist und wie man die Hände vor einem glühend heißen Lenkrad schützt – mehr sinnliche Details, als Harper in ihrem ganzen Roman liefert, so möchte man meinen. Hammers Schilderung einer Buschfeuerwalze, die  eine Gruppe von Feuerwehrleuten überrollt, ist buchstäblich atemberaubend.  Das Städtchen besiedelt er mit differenziert gezeichneten Originalen, die jede Begegnung mit einer neu eingeführten Figur zum Erlebnis machen: ‘Er wendet sich von der Buchladentür ab und entdeckt den schlurfenden Mann auf der anderen Straßenseite. Die Temperatur scheint bereits auf über dreißig Grad geklettert zu sein. Trotzdem watschelt der alte Knabe da drüben vorbei. Der graue Mantel scheint auf chirurgische Weise an ihm befestigt zu sein.’ Das sitzt und könnte von Chandler stammen.

Nach und nach erkundet Martin das Beziehungsgeflecht von Rivers End und setzt sich ein Bild zusammen: der amoklaufende Priester war angeblich ein Pädophiler, Harley Snouch, der Eigenbrötler von der Outback-Farm ein Vergewaltiger und Mörder. Seine Erkenntnisse packt er in eine Serie von Schnellschussartikeln, die er nacheinander raushaut. ‘Hemingway’ hat Snouch ihn scherzhaft genannt, und ein bisschen fühlt er sich auch so, zumal er mit der hübschen Buchhändlerin des Ortes auch noch im Bett gelandet ist. Aber die Wirklichkeit ist komplexer, als er zunächst meint. In Rivers End gibt es viele Wahrheiten. Wie Hammer sie mit farbiger Sprache und immer wieder überraschenden Wendungen enthüllt, ist ein wahrer Lesegenuss. Und ganz nebenbei erfährt man auch noch, wie sich das Leben im ausgedörrten australischen Outback anfühlt; ein Krimi der Extraklasse!

Bildergebnis für hitze jane harperJane Harper

Hitze, Roman
übersetzt von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann

rororo 2018

Jane Harper bei Amazon




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Chris Hammer

Outback, Roman
übersetzt von Rainer Schmidt

Scherz 2018

Chris Hammer bei Amazon