John le Carré – Silverview

Eine junge Frau, Lily, überbringt jn London einen Brief ihrer todkranken Mutter Deborah an Proctor, den Chef des britischen Geheimdienstes. ‘In einem kleinen Küstenstädtchen irgendwo an den äußeren Gestaden von East Anglia’ bekommt Julian, Ex-Broker und seit kurzem stolzer, wenn auch nicht unbedingt kenntnisreicher Besitzer einer Buchhandlung, Besuch von Edward, einem alten Freund seines verstorbenen Vaters. Edward begeistert Julian für den Plan, im Keller seiner Buchhandlung eine ‘literarische Republik’ auszurufen: sechshundert wegweisende Bücher an einem Ort versammelt. Sein besonderes Interesse gilt freilich den Computern, die es für das Projekt anzuschaffen gilt …

Damit ist das Spiel eröffnet. Le Carré beschwört das klassische Inventar des Spionagethrillers herauf, inklusive Codenamen, schillernder Agentenführer, konspirativer Treffen und einer Begegnung in Englands supergeheimen Atomwaffenbunkern. Irgendwie geht es wieder mal um alles, doch in die Karten schauen lässt er uns nicht. So erfahren wir nie, was in dem Brief stand, den Deborah durch ihre Tochter übermitteln lässt. Auch viele andere Details bleiben im Dunkeln.  Das geheimdienstliche Treiben schildert le Carré mit ironischer Distanz. Mehr zu interessieren scheinen ihnen die ‘höflichen Sprachknäuel’, mit denen seine Figuren einander umtanzen, und die nicht minder verschlungenen Biographien, in denen sie gefangen sind.

Silverview ist le Carrés Alterswerk, erschienen erst nach seinem Tod im Jahr 2020. Und es ist ein augenzwinkernder Abschied von der obskuren Nebenwelt, um die sein gesamtes literarisches Werk kreist und die er nun zurückzulassen scheint. Der Alte gibt die Stafette gewissermaßen an die Jungen ab, verkörpert durch Lily und Julian, die sich um die Regeln des Geheimdienstes ebenso wenig scheren wie der Autor um die einst ehernen Regeln des Spionageromans. Dabei bleibt er sich selbst doch treu und feiert die Literatur in kunstvoll verschlungenen Dialogen und einer Sprache, die keinen Umweg scheut. In einer Zeit, da so mancher Autor bereits bei Verwendung des Semikolons Rechtfertigungsdruck verspürt, wirkt das wundervoll subversiv.

John le Carré war ein großer Autor, und ich persönlich bedaure, dass  ich ihn nach ‘Der Spion, der aus der Kälte kam’, mit dem er 1963 den literarischen Durchbruch schaffte, aus dem Blick verloren habe. Es gibt viel nachzuholen.

John le CarréSilverview : Le Carre, John: Amazon.de: Bücher
Silverview (Silverview)

Aus dem Englischen von Peter Torberg

Ullstein 2021

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